Was zum Sonntag Judika

Liebe Gemeinde.

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Es ist Sonntag.
Und ich erschoss einen Mann in Reno.
Nee.
Stimmt nicht.
Ich war nie in Reno.
Und was vielleicht noch wichtiger ist: Ich habe niemanden erschossen.

Das habe ich alles nur wegen des dramatischen Anfangs gesagt.
Aber ich habe in der letzten Woche ein wenig in Texten von Charles Bukowski gelesen.
Den mag ich.
Er schreibt so hingerotzt und dreckig.
Das mag ich.
Und ich mag, dass man in diesem dreckigen Stil, plötzlich unfassbar schöne Formulierungen findet, die einem im Gedächtnis bleiben. Vielleicht gerade weil sie mit so viel Dreck umgeben sind.
Da fällt das Schöne dann mehr auf.

So ist das auch bei:
Ich erschoss einen Mann in Reno. Und andere unvorsichtige Angaben zur Person.

So heißt der Text, den ich gelesen hatte. Bukowski beschreibt darin sich selbst. Er erzählt, dass er immer in billigen Klamotten rumläuft, dass er voller Ängste ist und dass er eine ganze Menge Dinge einfach hasst. Wörterbücher zum Beispiel, und Nonnen und Spinnen.

Um sein Sexleben geht’s natürlich auch. Er ist ja nicht umsonst der dirty old man. Aber das müsst ihr selbst nachlesen.

Auf der anderen Seite sagt er von sich aber auch: Ich bin ein großer Schriftsteller. Und er träumt von einem Denkmal, von sich selbst natürlich. Aber so ein Höhenflug ist eher die Ausnahme. Mehrheitlich geht’s um seine Fehler. Um das, was er alles nicht kann, wo er versagt, worin er sich geirrt hat. Um seine Schwächen und Abgründe. Das Ganze formuliert mit ziemlich viel Dreck. Passend zum Inhalt.

Aber darin gibt’s eben auch eine Formulierung, die hängen bleibt. Nämlich:

Bukowski, eingekeilt zwischen den Wänden der Welt.

Darunter kann ich mir gut etwas vorstellen, und Du dir ja vielleicht auch. Ein Leben eingekeilt zwischen den Wänden der Welt. Das klingt nach eng und eingefahren. Nach einem Leben in einer Welt mit ihren Regeln, die bestimmte Bahnen einfach vorgeben. Ob Du willst oder nicht. Fremdbestimmt sein, durch äußere Zwänge, durch das, was einfach getan werden muss. In diesen Zeiten kann man ja ein Lied davon singen.

Oder, das ist die andere Möglichkeit, eingekeilt sein zwischen den Wänden einer Welt, die man sich selbst geschaffen hat. Durch eigene falsche Lebensentscheidungen. Weil du vor zehn Jahren auf dem Lebensweg mal falsch abgebogen bist. Weil du Fehler gemacht hast und immer wieder machst. So wie jede und jeder.

Eingekeilt sein zwischen den Wänden der Welt.

So nennt Bukowski das.

Dieses Leben mit seinen Abgründen und Fehlern und mit seinem Dreck. Und genau so lässt er es stehen. Es gibt keine Auflösung in seinem Text. Es ist wie es ist. Hässlich und dreckig und Ende. Oder auch nicht. Jedenfalls nicht, wenn man auf den Predigttext für heute hört. Der geht so:

Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.
So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen.
Denn wir haben hier keine bleibende Stadt,
sondern die Zukünftige suchen wir.

Der Text steht im Hebräerbrief. Das ist ein Brief im Neuen Testament, der schon echt was für Fortgeschrittene ist und über den man sehr viel sagen könnte. Ich sag hier nur wenig.

Christus hat gelitten, draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager. Und seine Schmach tragen.

Habe ich gemacht. Deswegen stehe ich gerade am Ortsschild von Wohltorf, draußen vor dem Tor sozusagen. Heute ist das ja alles ziemlich idyllisch. Besonders hier. Aber in der Vorstellungswelt vom Hebräerbrief ist draußen vor dem Tor, ein ziemliches Dreckloch. Da wird der Abfall entsorgt. Da liegt der Müll, der im Leben so anfällt. Draußen vor dem Tor liegen die falschen Lebensentscheidungen, die Fehler und Schwächen und diese blöde eigene Unzulänglichkeit. Draußen vor dem Tor, liegen die Keile, die das Leben festklemmen zwischen den Wänden der Welt. Da liegt alles Leid und Krankheit und alles Unrecht und aller Zwang.

Und genau dahin geht dieser Jesus aus dem Hebräerbrief. Nicht um sofort aufzuräumen. Noch nicht. Sondern erstmal um sich diesen Lebensabfall anzusehen und sich dem auszusetzen, auch an ihm zu leiden so wie jede und wie jeder. Denn nur der, der weiß wie der Dreck im Leben aussieht und wie er sich anfühlt, der weiß, was er bedeutet, nur der kann ihn auch beseitigen. Vielleicht kann man das so sagen.

Wir sollen es genauso machen. Sagt der Hebräerbrief.
Mit Jesus vor das Lager gehen und Lebensmüll ansehen. Und diese Schmach ertragen. Das tut weh.

Wer kann das schon so vollendet wie Bukowski, vor allem wenn es um das eigene Leben geht. Schmach ertragen ist Passion. Das ist Leidenszeit.
Aber es ist eben auch Ehrlichkeit. Die Welt so sehen wie sie ist.
Und sich selbst so sehen wie man ist.

Aber, und das ist die gute Nachricht. Es ist nicht wie in Bukowskis Text. Es bleibt nicht so.

Im Moment liegt vor unseren Lagern und vor den Orten dieser Welt noch viel Hässliches und Dreckiges.
Im Moment ist da immer noch viel Schlimmes, viel Leid, Versagen und Angst.

Aber da kommt noch was.
Nach der Passion, nach dem Leiden, kommt Ostern.
Neues Leben.

Oder wie es der Hebräer sagt:

Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die Zukünftige suchen wir.

Und die… wird schön.

Einen schönen Sonntag. Und Grüße von draußen vor dem Tor.

Ihr Pastor,

René Enzenauer

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