Gemeindebriefe 2023

Liebe Wohltorfer,
liebe Krabbenkamper,

so oder so ähnlich beginnen die Gemeindebriefe.

Hier finden Sie die Gemeindebriefe 01/2023, 02/2023, 03/2023

Auch die alten Briefe können Sie noch einmal lesen. Ab Dezember 2003 bis Dezember 2016 in unserem alten Web-Auftritt und außerdem in der aktuellen Form die Gemeindebriefe 2017, 2018, 2019, 2020, 2021, 2022


März 2023

Liebe Wohltorfer, liebe Krabbenkamper,

Foto: Pastor Enzenauer

Und der auf dem Thron saß sprach: Siehe, ich mache alles neu. (Offenbarung 21,4)

Er sieht aus wie ein Rollkoffer, schwarz, mit einem Griff zum Hintersichherziehen, und wir nennen ihn liebevoll unseren „Ackerschnacker“. Gemeint ist unsere akkubetriebene Lautsprecheranlage mit kabellosem Mikrofon und eingebauter „Funkverbindung“. Mit ihr lassen sich unter anderem Handys koppeln, um zum Beispiel Musik abzuspielen. Gekauft haben wir den Ackerschnacker in Coronazeiten. Seitdem hat er uns gute Dienste geleistet, bei Konfirmandenfreizeiten oder in Gottesdiensten. Aber dann ging er kaputt. Der Akku weigerte sich, sich aufzuladen. Schade, dachte ich, wieder ist ein Ding dahin. Und dabei war er noch gar nicht so alt.

Ich erwähnte diesen Umstand bei einem Treffen mit unseren Jugendlichen, die die Anlage gerade noch auf der Konfi fahrt mit großer Freude benutzt hatten. Entsprechend teilten alle mein Bedauern. Nur einer sagte: „Ich glaube, ich weiß, woran es liegt. Und wenn ich recht habe, dann kann ich ihn wieder reparieren. Ich brauche nur einen Kreuzschraubenzieher.“

Das klang geheimnisvoll, und ich wusste weder, ob ich diesem Versprechen trauen sollte, noch, ob ich einem 15jährigen gestatten sollte, mit einem Schraubenzieher an einem teuren Gerät zu basteln, geschweige denn an einem Akku, „in dem Strom ist“. Glücklicherweise war gerade kein passendes Werkzeug zur Hand, weshalb mir eine Entscheidung erspart blieb. So gingen ein paar Tage ins Land. Aber der Jugendliche vergaß nicht. Bei der nächsten Gelegenheit fiel ihm das Thema wieder ein und er fragte nach einem Schraubenzieher. Wieder war ich unsicher und suchte nach einem Ausweg. Ich wollte ihn und seinen Enthusiasmus nicht enttäuschen. Ich wollte aber auch nicht, dass der Lautsprecher vollkommen kaputt geht. Und schon gar nicht wollte ich, dass sich der Jugendliche verletzt. Ich druckste also herum. Aber der Jugendliche sah mich plötzlich unverwandt an und fragte:

Traust Du mir zu, dass ich das kann?

Am 6. Februar bebte die Erde. Seitdem berichten die Nachrichten von den katastrophalen Folgen. Und ich nahm mir vor, darüber einen Text zu schreiben. Aber was soll ich schreiben? Was wäre sinnvoll, tröstlich oder in irgendeiner Weise hilfreich?

Ich könnte von den wissenschaftlichen Fakten schreiben, von der Nordanatolischen Verwerfung und davon, dass Wissenschaftler_innen ein Beben dieser Art schon lange erwartet haben. Es kann ja manchmal helfen und Halt geben, die Dinge nüchtern zu betrachten und zu erklären. Aber was trägt das aus, wenn man auf das entstandene Leid schaut, auf die zigtausenden von Toten und Verletzten, auf die 1,6 Millionen Menschen in Notunterkünften und die 600.000 Evakuierten, auf zerstörte Städte und Dörfer? Außerdem bin ich Theologe und kein Seismologe. Deswegen könnte ich vom deus absconditus schreiben, vom verborgenen Gott, der prinzipiell unerkennbar ist. Ich könnte von der rätselhaften Seite Gottes schreiben, die schon Hiob schmerzlich kennenlernen musste, von der Frage „Warum lässt Gott das zu?“, von Kontingenz und von der Frage nach dem Leiden. Ich könnte schreiben von meinen Gebeten und von meiner Hoffnung. Aber ich merke, dass es das nicht ist. Ich druckse also herum und suche, nach einem Ausweg, nach dürren Worten und nach dem, worum es mir eigentlich geht. Und so bleibe ich am Ende hängen, bei einem Bibelvers und bei einer Frage:

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein … Und der auf dem Thron saß sprach: Siehe, ich mache alles neu. (Offenbarung 21,4)
Traust Du mir zu, dass ich das kann?

Ihr Pastor
René Enzenauer

Spenden für die Hilfe in der Türkei und Syrien sind online unter der Adresse www.diakonie-katastrophenhilfe.de/spenden möglich.
Das Spendenkonto der Diakonie Katastrophenhilfe lautet:
Diakonie Katastrophenhilfe, Evangelische Bank
IBAN: DE68 5206 0410 0000 5025 02
BIC: GENODEF1EK1
Stichwort: Erdbebenhilfe Türkei Syrien

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Februar 2023

Liebe Wohltorfer, liebe Krabbenkamper,

Foto: Pastor Enzenauer

Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen. (1. Mose 21,6) ist ein Bibelvers, der die Freude und Dankbarkeit von Sara ausdrückt, als sie erfährt, dass sie ein Kind bekommen wird, trotz ihres Alters. Es zeigt ihre Überzeugung, dass Gott die Quelle ihres Segens und Glück ist und dass es durch seine Macht und Gnade möglich ist. Dieser Vers ermutigt uns, unsere Freude und Dankbarkeit für die Gaben und Segnungen, die Gott uns schenkt auszudrücken und zu glauben, dass er uns das Unmögliche ermöglichen kann.

Vielleicht kommt Ihnen der Duktus der drei Sätze, die Sie gerade gelesen haben, eigenartig vor. Wenn Sie regelmäßig meine Texte lesen sollten, fragen Sie sich vielleicht sogar, ob es mir gut geht oder ob sich mit dem Jahreswechsel auch mein Schreibstil ungewöhnlicherweise verändert hat. Aber des Rätsels Lösung liegt woanders: Der erste Absatz ist nicht von mir. Er wurde aber auch nicht von irgendeinem anderen Menschen auf dieser Welt geschrieben. Er stammt von einer „Maschine“, von einer sogenannten Künstlichen Intelligenz, einer KI.

In meiner Laienhaftigkeit würde ich sagen, dass eine KI ein Computerprogramm ist, das gespeicherte Informationen durchsuchen, die gefundenen Informationen miteinander verknüpfen und daraus „Entscheidungen“ nachbilden kann, die normalerweise ein Mensch trifft. Und all das kann die Maschine fast allein. Der Mensch greift nur vereinzelt ein und korrigiert, wodurch die Maschine wiederum „lernt“.

Ganz neu ist diese Technologie nicht. In der Radiologie zum Beispiel helfen KI-Systeme den Ärzten beim Interpretieren der Bilder. Aber auch in der Sicherheitstechnik, bei der Spracherkennung oder in Suchmaschinen werden KI-Systeme angewandt. Und nun gibt es eine neue Möglichkeit für den Hausgebrauch: eine KI zum Texte schreiben und Ideen generieren.

Ich zum Beispiel habe der KI geschrieben:
„Schreibe einen Text im Umfang von drei Sätzen zum Bibelvers „Sara aber sagte: Gott ließ mich lachen.“
Dann klickte ich auf „Los!“ und ich konnte der Maschine beim Schreiben zusehen. Das Ergebnis ist der erste Absatz dieses Textes.

Faszinierend, oder? Oder eher beängstigend? Oder beides?

Im Freundeskreis haben wir darüber diskutiert. Einer war ganz hingerissen von den neuen Möglichkeiten. Wenn er von der KI redete, dann sagte er: „Ich habe IHN gefragt und ER hat dann geschrieben…“, so als rede er von einem Menschen. Ein anderer hielt dagegen und sagte: „Ich halte gar nichts davon. Ich möchte eine Maschine nicht mit meinen Gedanken füttern, die sie dann womöglich für etwas anderes benutzt. Was ist auch mit Emotionen, mit Gefühlen? Sollte man diese Technik nicht reglementieren, oder sogar nicht nutzen, obwohl man es könnte?“

In der Geschichte der Menschheit wäre letzteres wohl einmalig. Von der Eisenbahn, über die vollautomatische Waschmaschine bis zum Internet und zur Atomkraft: Wann immer es eine neue bahnbrechende Erfindung gab, wurde sie auch verwendet. Ein Dahinter-Zurück war nicht vorgesehen. Dabei gab es immer Befürworter, Skeptische, Kritiker und Gegner. Und immer auch gab es dabei eine wichtige Frage, nämlich: Was ist der Mensch?

Denn wenn eine Maschine „kreativ sein“ und meinen Gemeindebrief schreiben kann, wenn sie Konzepte erarbeiten und Texte bauen kann, was ist dann noch meine Aufgabe? Wenn Maschinen immer genauer, besser und selbstständiger Arbeiten ausführen können, die ehemals ein Mensch übernehmen musste, was bleibt dann vom Menschen? Was bleibt vom Menschen ohne seine „Arbeit“? Was macht den Menschen letztlich aus?

Wir werden darüber reden müssen. Ich habe spontan auch keine einfache Antwort, nur einen Gedanken. Der Philosoph Aristoteles hat geschrieben: Das Proprium des Menschen, also sein Eigenstes, was nur der Mensch kann und was ihn gegenüber allem anderen auszeichnet, ist: sein Lachen.

Hat er recht damit? Und ist das mit Saras Satz gemeint: „Gott ließ mich lachen.“? Auf diese Idee ist die KI jedenfalls nicht gekommen.

Ihr Pastor
René Enzenauer

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Januar 2023

Liebe Wohltorfer, liebe Krabbenkamper,

Foto: Pastor Enzenauer

Von guten Mächten, treu und still umgeben …

„Na dann machs mal gut.“, sagt er, „Und pass auf dich auf.“ Er klopft ihm auf die Schulter, schwingt sich auf sein klapperndes Fahrrad und fährt davon. Sein Bekannter bleibt zurück. Ich sehe ihm zu, wie er allein ein paar Sekunden ruhig dasteht. Es ist nur ein kleiner Moment, aber ein wichtiger. Nichts passiert in dieser kaum wahrnehmbaren Zeit. Kein Losgehen. Kein Hinterhersehen. Kein Blick auf die Uhr oder aufs Handy. Nur dastehen und atmen.

Es ist einer dieser Momente, in denen klar wird, dass sich gerade etwas verändert hat. Jemand, der eben noch da war, ist ab jetzt und bis auf Weiteres nicht mehr da. Etwas, das eben noch so war, ist ab jetzt und bis auf Weiteres anders. Die Zeit bis eben, heißt ab jetzt Vergangenheit. Wenn man an sie denkt, dann fühlt sie sich an wie eine alte Tante, die behaglich und gemütlich auf eine Tasse Tee vorbeischaut. Das, was nun folgt, ist Zukunft. Sie ist der wilde Teenager, mit dem Geruch von Draußen in der Jacke, der das unbequeme Ungewohnte in die Wohnung schleppt. Dazwischen ist Gegenwart. Dazwischen ist Abschied. Er hält alles zusammen – das, was bis eben noch war, und das, was kommt.

… behütet und getröstet wunderbar …

Wir Deutschen sind ziemlich gut im Abschied nehmen. Das habe ich irgendwo gelesen. Ein Ethnologe hat in Feldstudien herausgefunden, dass wir uns anders als so ziemlich jedes andere europäische Volk sehr lange mit der Verabschiedung aufhalten. Oft kommen erst beim Lebewohlsagen die eigentlich wichtigen Informationen zur Sprache. Wir umarmen uns unentwegt und sagen immer wieder „Tschüss, Auf Wiedersehen und alles Gute“ in erstaunlich vielen Variationen. Das kann das schon einmal zwanzig Minuten oder länger dauern. Bei der Begrüßung hingegen seien wir bemerkenswert sparsam mit Worten, Gesten und mit Gefühlen sowieso. Woran das liegt, wusste der Ethnologe nicht.

Wir zelebrieren den Abschied. Vielleicht sind wir deswegen so gut im Silvester feiern. Vielleicht reagieren viele deswegen so allergisch, wenn es um ein Verbot von Knallern, Böller und Raketen geht. Auch wenn unsere Hunde und Katzen panisch unterm Bett liegen und sich die Straßen unserer Städte und Dörfer erst mit dichtem Rauch und dann mit leeren Flaschen und Raketenabschussstöckchen füllen. Also machen wir unserem ethnologischen Ruf doch alle Ehre und sagen aufwendig: „Tschüss 2022! Alles Gute!“

Aber bevor du gehst, muss ich dir noch etwas sagen: Du warst in vielen Dingen schlimm. Am schlimmsten ist zweifellos, dass es wieder Krieg in Europa gibt, obwohl doch fast alle dachten, dass das inzwischen unmöglich sein sollte. Aber das war ein Irrtum. Städte werden zerbombt. Menschen fliehen. Viele suchen Schutz hier bei uns. Und sie fanden ihn: Viele öffneten ihre Häuser und Wohnungen, schafften Schlafplätze, halfen bei Behördengängen, sammelten Lebensmittel, Medikamente und anderes mehr. Das gab es auch im Jahr 2022. Und das war gut. Na dann: Tschüss!

Ach, aber die Energiekrise und die mutmaßlichen Reichsbürger-Umsturzpläne und all der Hass, der sich durch die sozialen Medien und dann auch durch das Soziale frisst, das hättest Du dir trotzdem schenken können, wenn ich das so sagen darf. Na gut, bisher kommen wir gut durch den Winter. Es gibt staatliche Hilfen und es gibt Menschen, die für die Demokratie kämpfen. Im Kleinen wie im Großen. Jetzt aber wirklich Tschüss.

Nur eins noch: Danke für einen langen Sommer. Für Urlaube und für freie Zeit, für alles Feiern und Lachen. Das war toll. Also machs gut und pass auf dich auf!

… so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr:
Von guten Mächten wunderbar geborgen.

Moin 2023! Mögest du ein gutes Jahr werden!

Ihr Pastor
René Enzenauer

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