Predigt zum Sonntag Rogate

  1. Matthäus 6,5-15

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.

Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.

Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.

Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.

Darum sollt ihr so beten:

Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.

Unser tägliches Brot gib uns heute.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.

Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.

  1. Früher war alles – anders.

Früher war eigentlich selten etwas da.
Wenn früher einer fragte:
„Was gibt’s denn heut‘ zu essen?“
Dann war die erste Antwort meistens:
„Keine Ahnung.“

Und weil das wenig hilfreich war,
ging man Richtung Kühlschrank
um sich von dem, was die Konservierungskühle konservierte,
inspirieren zu lassen.

Kühlschrank auf.
Blick hinein:
Marmelade,
ein angefangenes Glas Gurken.
Vielleicht noch etwas Käse oder Wurst.
– Senf!
Kühlschrank zu.

Rüber an den Küchenschrank.
Türe auf.
Blick hinein:
Mehl
und eine faste leere Tüte Reis.

So war das früher.

Dann fuhr man einkaufen.

Zwischen Kirchberg und Haidrath dachte man:
Heureka! Spaghetti Bolognese!
Also kaufte man Tomaten und Tomatenmark, Gehacktes „halb und halb“,
Spaghetti und die geheime Zutat.
Fuhr nach Hause.

Kochte.

Aß.

War satt.

Bis zum nächsten Tag.

„Du? Was wollen wir denn heute essen?“

Kühlschrank auf
Blick hinein.
Kühlschrank zu.

„Ich fahre dann mal einkaufen.“

So war das früher.

 

III. Wir sind Zwerghamster geworden

Dann kam die Sache mit dem Virus.

In den Medien las man von Menschen, die zu Hamstern wurden.
Und ich dachte: Vielleicht sollte ich auch ein Hamster werden.
Wenigstens ein Zwerghamster.
Nicht aus Sorge, dass es nichts mehr geben könnte.
Sondern damit ich nicht jeden Tag wie ein potentielles
Virenmutterschiff zwischen anderen potentiellen Virenmutterschiffen im Ozean des Supermarktes umherschippern muss.

Sicher ist sicher.

Also fuhr ich einkaufen.

Und plötzlich hatte ich Vorräte.

Für ein paar Tage wenigstens.

So muss sich meine Großmutter gefühlt haben,
dachte ich.
Die hatte eine richtige Vorratskammer.
Ihre Vorratskammer war der Keller.
Wenn man dort aus unglücklichen Umständen eingeschlossen worden wäre,
drei Jahre hätte man dort überlebt.
Mindestens.

In ihrer Kellervorratskammer gab es alles.
Von A wie Apfel bis Z wie… nein, ich glaube Zucchini kaufte sie immer frisch.
Aber sonst war alles da.

Das hat sie wahrscheinlich in der schlimmen Zeit gelernt.

Wohl dem der eine Vorratskammer hat.

 

  1. Ort

So eine Vorratskammer ist ein besonderer Ort.
Weil es dort so viele gute Dinge gibt.
Weil man dort auch ganz für sich sein kann.

Vielleicht nur so ein bis zwei Momente.
Sich auf die Kiste Bier setzen,
die Zutatenliste auf der Dose Erbsensuppe lesen
und Gedanken denken.

Über Nudeln und Hamsterkäufe und die Anfangspanik.
Über Toilettenpapier und Intensivstation und Beatmungsmaschinen.
Über Schokolade und die Nerven, weil ja keiner weiß, wie lang es
dauert.

Über Bier und die Freunde, die man jetzt nicht treffen kann und über den Rausch des Verdrängens.

Ein schöner Ort so eine Kammer.

Zugestellt mit Dingen aus dem Leben für das Leben.
Ein Bisschen wild und unsortiert.
Und voll.

Im Herzen siehts oft doch ganz genauso aus.

 

  1. Von Kammern und Kellern

Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein.

Sagt Jesus.

Und manche verstehen:
Such dir eine besondere Zeit und einen besonderen Ort.
Mach die Tür zu.
Damit du allein sein kannst mit deinem Gott.
Steig aus aus dem Leben.
Für eine kleine Weile.
Und wenn du dann wieder aufgeräumt bist und sortiert,
dann steig wieder ein und geh wieder raus.

Und dann
lebe weiter.

Aber ich glaube, es ist anders.

Denn Jesus redet vom Keller meiner Großmutter.

„Tameion“ ist das Wort.
Das heißt:
Vorratskeller.
Keller.
Speisekammer.

Wenn du aber betest, dann geh in deinen Vorratskeller.

Das ist der Raum, in dem ist,
was du zum Leben brauchst.
Hol dir dort etwas zu essen,
was dich satt macht,
was dich nährt.
Geh einfach rein mit deinem unaufgeräumten, wilden, vollen Herzen.

Wenn es nötig ist, dann nimm dir Zeit.
Dann setzt dich eine Weile in die Kammer
Auf den Boden, auf ne Kiste, auf ne große Kirchenbank,
wie auch immer,
ist egal.
Schau dich um und lass dich inspirieren.

Oder aber du gehst einfach
schnell mal rein,
greifst ins Regal und nimmst, was du zu fassen kriegst.

Vielleicht ein Gläschen Vaterunser.
Hält ewig.
Passt zu allem
und kennt jeder:
Vegetarier, Veganer,
Fleischliebhaber,
Kirchenmitglied oder nicht.

Schon der Rhythmus der Worte ist so vertraut und wohlig schön,
wie der Geruch aus Kindertagen,
wenn Mutter Nudeln mit Tomatensauce machte.

Mit dem Gläschen Vaterunser musst du auch nicht lange überlegen,
was du heute beten willst.
Du musst es auch nicht erst besorgen.
Es ist nämlich einfach da.

Und ich würde auch behaupten:
Den meisten schmeckt es,
auch ohne, dass sie vorher die Zutatenliste studieren.

Wenn du aber betest, dann geh in deinen Vorratskeller.

Fündig wirst Du immer.

Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft.

Oder wie es ein Konfirmand neulich gesagt hat:

„Ich hab‘ schon mal gebetet.
Ist nichts Schlechtes bei rausgekommen.“

 

  1. Beten ist wie

Beten ist wie in die Vorratskammer gehen.
Und dann hockt da Gott,
hinten in der Ecke eingequetscht oder liegend quer.
Und zur Begrüßung sagt Gott dir:
Komm rein, ich weiß schon, was du brauchst.
Ich sehe dein wildes, unsortiertes Herz und höre deine Seele hungrig knurren
vor Angst und Anfangspanik,
und vor Sorgen vor morgen,
weil keiner weiß, wie lange es noch dauert,
vor Einsamkeit und Sehnsucht nach den Freunden und nach der Familie,
die du lange nicht mehr sehen konntest.

Komm rein,
und stärk dich.
Hol dir, was du brauchst.
Du musst nicht viele Worte machen.
Keine Entschuldigungen.
Keine Erklärungen.

No excuses and no explanations.*

Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft.

So nimm und iss. Und bete.

Bon Appetit.*

Amen.

 

* Julia Child, Mastering the Art of French Cooking.