Predigttext: Matthäus 26,17-30
Aber am ersten Tag der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und sprachen:
Wo willst du, dass wir dir das Passalamm zum Essen bereiten?
Er sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm:
Der Meister lässt dir sagen:
Meine Zeit ist nahe;
ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern.
Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
und bereiteten das Passalamm.
Und am Abend setzte er sich zu Tisch mit den Zwölfen.
Und als sie aßen, sprach er:
Wahrlich, ich sage euch:
Einer unter euch wird mich verraten.
Und sie wurden sehr betrübt und fingen an,
jeder einzeln zu ihm zu sagen:
Herr, bin ich’s?
Er antwortete und sprach:
Der die Hand mit mir in die Schüssel taucht,
der wird mich verraten.
Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht;
doch weh dem Menschen,
durch den der Menschensohn verraten wird!
Es wäre für diesen Menschen besser,
wenn er nie geboren wäre.
Da antwortete Judas, der ihn verriet,
und sprach: Bin ich’s, Rabbi?
Er sprach zu ihm: Du sagst es.
Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot,
dankte und brach’s und gab’s den Jüngern und sprach:
Nehmet, esset; das ist mein Leib.
Und er nahm den Kelch und dankte,
gab ihnen den und sprach:
Trinket alle daraus;
das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele
zur Vergebung der Sünden.
Ich sage euch:
Ich werde von nun an nicht mehr von diesem Gewächs des Weinstocks trinken
bis an den Tag,
an dem ich aufs Neue davon trinken werde
mit euch in meines Vaters Reich.
Und als sie den Lobgesang gesungen hatten,
gingen sie hinaus an den Ölberg.
Predigt zu Matthäus 26,17-30
I. Hin und Her
Ich gehe gern mal einen Kaffee trinken.
Und fahre dafür in die große Stadt.
Rauskommen.
Und sich treiben lassen.
Leute sehen.
Leute hören.
Wie sie gehen,
was sie sagen,
was sie tragen,
wo sie stehen.
Was sie denken.
Und oft denke ich dabei:
Wir sind schon seltsam.
Es ist, als würde man in einen Spiegel gucken.
Nur, dass man nicht im Besonderen und Konkreten
sich drin sehen kann.
Also nicht die eigenen Augen,
nicht die eigene Nase,
den eigenen Mund.
Aber dafür umso mehr die Gattung Mensch im Allgemeinen.
Und ich bin mittendrin,
gehöre auch dazu, zu dieser Gattung,
Und denke:
Wir sind schon seltsam:
Hin und her gerissen
zwischen dem, was wir sind
und dem, was wir sein wollen.
zwischen dem, wie wir uns sehen,
dem, wie andere uns sehen.
Und dem, wie Gott uns sieht.
Zwischen:
Ich bin’s!
und
Bin ich’s?
…
II. Wills wissen
Bin ich’s?
Was für eine eigenartige Frage.
Das denke ich jedes Mal,
wenn ich sie an dieser Stelle lese.
Ich verstehe nicht, woher sie kommt.
Das wird auch nicht erklärt.
Und vielleicht ist es ja auch unerklärlich.
Seltsam eben.
Aber eben darin vielleicht menschlich.
Dennoch will ichs wissen.
Also fahr ich in Gedanken
hin,
und setz mich mit an ihren Tisch,
setz mich mittenrein,
in die Wolke der 12
und all der anderen,
die um ihn, den Einen, kreisen
wie die Planeten um die Sonne.
Im Café war leider kein anderer Platz mehr frei.
Ich musste mich irgendwo dazusetzen.
Ich fragte
und man lies mich.
Und dann tat ich so,
als ob ich las,
Kopfhörer in den Ohren,
ließ ich mich treiben.
Sehen.
Hören.
Wie sie gehen,
die Anderen,
was sie sagen,
was sie tragen,
wo sie stehen.
Was sie denken.
III. Reden
Sie haben ein Haus organisiert,
Einen Ort zum Zusammensein,
der ihnen nicht gehört.
Kneipe, Herberge, Café.
Zwischenstopp auf einem Weg:
Meine Zeit ist nahe;
ich will bei dir das Passamahl halten mit meinen Jüngern.
Sie haben das Feuer angemacht,
und gekocht,
Gemüse geschnibbelt,
gerührt und abgeschmeckt.
Siehe, wie fein und lieblich ists,
wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen. (Ps 133,1)
Jemand machte mir meinen Kaffee.
Doppelter Espresso.
Milch. Aber bitte keinen Schaum.
Den mag ich nicht.
Dann noch ein Glas Wasser dazu.
Angeblich soll das ja gesund sein.
Dann, als alles fertig war:
Zu Tisch.
Zu Tisch.
Jede, jeder saß auf seinem Platz.
Man reichte sich von dem Gemüse.
Von dem Wein.
Und von dem Lamm.
Jemand brach das Brot und fragte
„Willst du noch?“
Alle redeten.
Die Stimmen gingen durcheinander.
Die Themen auch.
Es ging um die Arbeit,
den Ehemann zu Hause und um die neuen Gartenmöbel.
Um wie es gestern war im Kino:
„Muss man nicht sehen.
Lohnt sich nicht.“
Eine studierte einen Reiseführer,
der „Glücksorte in Hamburg“ versprach.
Einer lernte Mathe.
Tassen klappern.
Und die Spülmaschine rauscht.
Aus den Boxen an der Zimmerdecke kommt Musik.
IV. zur Sache
Dann sagte er:
Wahrlich, ich sage euch:
Einer unter euch wird mich verraten.
Vorbei wars mit der Eintracht und der Lieblichkeit.
Wäre es ein Film,
dann wäre das wohl einer der Momente,
in denen ganz plötzlich absolute Stille herrscht.
Die Boxen in der Zimmerdecke schweigen.
Die Tassen und die Spülmaschine auch.
Niemand sagt was.
Niemand bewegt sich.
Alle gucken nur auf ihn.
Aber es ist kein Film.
Die Leute reden weiter.
Bestellen weiter ihren Kaffee.
Knabbern Kekse.
Lesen.
In meiner Nähe sagt jemand zu einer Freundin:
„Ich finde es verlogen,
wenn die Leute in die Kirche rennen,
aber nicht danach leben.
Das sind ja dann die Schlimmsten.
An die 10 Gebote muss man sich halten.
Wenn sie das nicht machen, müssen sie auch nicht zur Kirche laufen.“
Woher das Thema plötzlich kam?
Ich weiß es nicht.
Es richtete sich auch nicht direkt an mich.
Ich saß nur da und hörte es,
wie jemand es zu jemand anderem sagte.
Und die Person, die es sagte,
ließ keinen Zweifel daran,
dass sie eine von denen war,
die sich an die 10 Gebote hielt.
V. Hin und Her
Und ich bin mittendrin,
zwischen allen anderen
und gehöre auch dazu
Und denke:
Wir sind schon seltsam:
Hin und her gerissen
zwischen dem, was wir wirklich sind
und dem, was wir sein wollen.
Zwischen dem, wie wir uns sehen,
dem, wie andere uns sehen.
Und dem, wie Gott uns sieht.
Wen sie wohl meint?,
die Person vom Nebentisch,
fragte ich mich,
Und die Jünger fragten:
Herr, bin ich’s?
VI. Durcheinander
Seltsame Frage.
Ich muss doch wissen,
ob ich der Verräter bin?
Oder doch zumindest,
ob ich mit dem Gedanken spiele.
Ich muss es doch wissen.
Wer ich bin
und was ich will
und ob ich bin, was ich sein will und auch was nicht.
Aber da fragt selbst Judas nochmal nach:
„Bin ich’s, Rabbi?“
Wusste er es wirklich nicht?
Oder war die Frage nur Scharade gegenüber den anderen,
die an der Kaffeetafel saßen?
War das wie ein Aufrechthalten der Fassade?
Nach der Methode:
Wenn alle sowas fragen, frag ich auch,
dann falle ich nicht auf?
Dann ahnt niemand,
was ich von mir
mal hinter meinen frommen,
mal hinter meinen vorwurfsvollen,
besorgten oder freundlichen Worten verstecke?
Bin ich’s?
Oder ist die Frage echt und ernst gemeint?
Wusste er es wirklich nicht?
Wusste er wirklich nicht,
was ihm im Herzen wohnt?
Zu was er fähig ist?
Was er für nötig halten könnte?
Oder ist es Ausdruck einer Ahnung,
dass in ihm auch noch etwas Dunkles lauert,
neben dem frommen Eifer für das,
was er für richtig und für eine gute Sache hält.
Gedanken fliegen durcheinander.
Wie die Stimmen und Geräusche im Café.
Wie gut wir doch sind,
dachte ich,
darin, uns selbst etwas zu erzählen,
oder sogar vorzumachen?!
Darüber, was wir leisten.
Darüber, was wir auch noch leisten können.
Im Job.
In unseren Beziehungen.
Im Leben.
Und gegenüber Gott.
„10 Gebote?
Kein Problem?“
Wenn das so einfach wäre,
hätte es Christus nicht gebraucht.
Dachte ich. Und sagte es nicht,
da im Café.
Aber wie gut wir doch darin sind,
uns selbst und anderen etwas zu erzählen und es dann zu glauben?!
Über das, wer wir sind,
und wie wir sind.
Gerecht. Gut. Und gottgefällig.
Und anständig, korrekt.
Wie wir immer schon zu wissen glauben,
was der Weg ist
und die Wahrheit
und das Leben.
Und wie gut wir doch sind, Meinungen zu haben.
Und Erwartungen.
Darüber wie andere sind.
Und wie andere sein sollten.
„Wenn sie nicht so oder so sind,
dann sind es die Schlimmsten.“
VII.
Und ich bin mittendrin,
gehöre auch dazu,
zu denen im Café
mit Meinungen,
Erwartungen
und mit den Bildern,
die ich von mir selbst habe und von den anderen auch.
Und denke:
Wir sind schon seltsam:
Hin und her gerissen
zwischen dem, was wir sind
und dem, was wir sein wollen.
zwischen dem, wie wir uns sehen,
dem, wie andere uns sehen.
Und dem, wie Gott uns sieht.
Zwischen:
Ich bin’s!
und
Bin ich’s?
…
Dann aber war der Kaffee leer.
Ich nahm meine Sachen und ging hinaus.
Und heute Abend bin ich hier.
Mit ihnen und mit euch.
Und wir sind mittendrin,
unter den Vielen damals in dem Haus,
an diesem Abend,
als es das Lamm gab.
Und als die Stimmen durch den Raum schwirrten
und die große Frage
nach dem Ich
und nach dem, wozu dieses Ich fähig sein könnte.
Und als dann der Eine das Brot nahm und den Wein.
Und sie zusammen aßen.
Die Verräter.
Und die Zweifler.
Die Ängstlichen.
Die Frommen.
Die Mitläufer.
Gott.
Und die Menschen,
die darum wissen
oder es zumindest ahnen, dass sie Menschen sind.
Die sich selbst nach sich befragen
und die dabei merken,
dass sie jemanden brauchen,
der sich mit ihnen – trotz allem –
an einen Tisch setzt und ihnen immer wieder Brot und Wein reicht.
Vielleicht sind gerade das
sogar die Besten.
Amen.
Copyright: Pastor René Enzenauer